The Incredibles – mit Spannung erwartet.
Aaaaah ja … Rue Madelaine kultiviert eine Farbe, die ich nach der Kakaobohne Serena Dark Horse auf den ersten Blick nicht allzu beeindruckend finde. Eine dunkle Hemerocallis mit rotweingetränkten Leberwerten; morgens ein bisschen rußig, matt purpurn, glanzlos und müde. Sie braucht ein anderes Shampoo, revitalisierend und mit Koffein oder so.
Ich hebe kritisch die Augenbrauen und gebe ihr bekannt, dass es für so viel verkaterte Leberwerte auf einmal erstens einen Tadel und zweitens einen Verweis gibt. (Edit: So denke ich morgens bei Morgenlicht)
Erstklassige, dralle, rundliche Figur (Blütenform) mit breiten Schmetterlingsflügeln, dabei kurzbeinig wie ein Welsh Corgi, schöner, breiter, anfangs jadegrüner, dann gelber Schlund, gleichmäßig geschwungener, gerüschter Rand, dunkle, dekadente, schwierige, bräunliche Auberginenfarbe zum vorsichtigen Kombinieren, die leider nicht ganz kratzfest daherkommt. Aber womit dekorieren? Mit Zwiebelringen und Apfelspalten? Berliner Art sozusagen? Die rotblättrige Berberiskugel an ihrer Seite ist schon eine zu lebhafte Konkurrenz für sie (Edit: Morgens gesehen!!).
Dagegen sieht ja mein Leberwurstbrot Nr. 1 farbiger aus (Edit: Immer noch morgens!!!). Apropos Berlin, Rue Madelaine hat obendrein das ultimative Pech, dass im Stadtgarten vis à vis gleichzeitig Berlin Red Velvet wie ein Glutball am Horizont aufgeht. Echt Pech. Ein GAU. Die höhere Berlinerin beherrscht die Szene und schlägt sie im direkten – zugegebenermaßen unfairen – Vergleich bei der Werbung um meine uneingeschränkte Gartengunst glatt um drei Pferdelängen. Sehr vorausschauend, dass ich nicht auf sie gewettet hatte.
Berlin Red Velvet, das ist doch mal eine große, großartige, satte Taglilie! Meine einzige von Tamberg. Und ich wusste schon vorher, warum ich sie unbedingt haben musste! Naaaa? Die ist doch eine Sternstunde in puncto pittoreskem Samtrot! Einmalig! Neben ihr sieht jede altrosa-mauve-brombeerpurpurn-weinrote Kollegin noch zehnmal müder aus als sie schon ausschaut.
Berlin Red Velvet, in natura erfreulicherweise nicht so hell, sondern temperamentvoller, tiefer, dunkler und an den Rändern schwarzsamtig überhaucht
An ihrer eckigen, sternförmigen Figur mit hängender Unterlippe sollte sie noch arbeiten und diese oder jene Partie ordentlich durchdefinieren. Fitnessstudio wäre angesagt. Ihre Farbe und Statur plus die Linie von Madelaines Blüten wäre ein Volltreffer.
Spät in der Dämmerung besuche ich sie wieder. Wo ich im Abstand von 3 Armlängen die feurig rote, halbgeschlossen schlummernde Blüte erahne, klafft ein Loch auf dem Stängel, ein absolut schwarzes Loch in der Luft mit dem Umriss einer schlafenden Lilienblüte, schwarz wie der tiefste Schatten in der dunkelsten Ecke. Eigenartiges Phänomen. In Wirklichkeit ist die Blüte also rabenschwarz? Wahrscheinlich ist sie äußerlich mit Khol und rotem Puder geschminkt und im Halbdunkel sieht man nur noch schwarz, keinen Schimmer einer Farbe, das Rot ist wie ausgeblendet. Ich gucke angestrengt Löcher in das schwarze Loch, doch der Zaubermantel des Alberich hütet die stille Blüte.
Mir fällt bestimmt etwas zu Madelaine im Büßerinnengewand ein, früher oder später. In einer speziellen, noch auszuknobelnden Kombination wird sie gut aussehen, dafür sorge ich schon. Vorzugsweise toter Fisch … was Austernfarbiges und Grüngraues? Eine französische Hitchcock-Frenzy-Bouillabaisse-Farbe? Blaue Hosta? Grünlich-gelbe Spider? Weißfilzige Pelztierchen zwischen Hermelin und Heiligenkraut?
„Suche unauffälige Begleitung in dezentem Steinlausgrau für alte Dame.“
Immerhin ist sie eine gartengestalterische Herausforderung.
Doch vorerst darf sie im August ihr Köfferchen packen und in den wilden Garten umziehen; dabei bleibt’s.
(Edit: „Sooo schwierig ist es nun auch wieder nicht,“ denke ich abends, Aug‘ in Aug‘ mit der erröteten Langschläferin Madelaine und bin nicht mehr sicher, ob sie zur persona non grata erklärt und ins Exil abgeschoben werden sollte. Ihre chamäleongleiche Wankelmütigkeit ist ansteckend. Das blaue Pfläumchen in Armagnac entzieht sich dem Vergleich mit einem Temperamentsbolzen wie Berlin Red Velvet und spielt ihre eigene Melodie. Eine kleine Nachtmusik statt Flamenco.)
Rue Madelaine – im Nebenberuf Schillerfalter, wenn sie nicht hauptberuflich englischrot ist
Am Abend sieht die Welt anders aus, so auch Rue Madelaine mit der tadellosen Figur. Sie ist endlich aufgewacht; ihr loser, bordeauxroter Puder bröckelt weiterhin. Neben Koffeinshampoo könnte sie Haarspray und eine Visagistin gebrauchen. Von morgens bis abends hat man Zeit, im Stundentakt nach ihr zu sehen und darüber zu meditieren, ob sie nun flach-aubergine auf kreidigem Grund oder pflaume oder mauve oder rauchig burgunderrot oder gar halbherzig violett ist. Um 20:30 Uhr ist sie matt rostrot mit etwas Kirschsaft.
Wäre sie keine neue Hemerocallis – und verdiente(r) Mutter (Vater) von 5 Kindern! – an die ich gespannte Erwartungen hänge, würde ich die schläfrige, weiche Tönung apart finden. Eigentümlich, doch nicht grundsätzlich unschön – und nach wie vor zeigt sie eine chice, harmonische Blütenform.
Wäre sie keine gehätschelte Hemerocallis, würde ich andererseits ganz nüchtern und kaltherzig bemerken, dass sie aussieht wie Rinderleber oder Ochsenblut und sich die Digicam täuschen lässt, wenn sie sie abends für violett hält. Die Kamera übertreibt maßlos und sieht viel mehr Farbe.
Beschönigende Schmeicheleien sind Privilegien für adelige, damenhafte Rosen und Taglilien. Welcher kultivierte Gartenmensch würde seiner begehrten Dame schon ins Gesicht sagen, sie habe einen Teint wie Rinderleber in der Sonne?! Bestenfalls Kannibalen könnten sowas für ein Kompliment halten.
Über schwierige, kapriziöse Kinder mit Kostümfimmel gibt es viel mehr zu erzählen als über beständig schöne, brave …
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