Im Botanischen Garten gibt es eine Führung, auf die wir zufälligerweise stoßen. Ein Imkerverein hat eingeladen.
Eine blonde Dame schießt auf mich zu und schenkt mir ihre Aufmerksamkeit. Wer ich sei, ob ich vom Freundeskreis des Bot. Gartens oder der Presse käme, sie hätte gar keine Presse eingeladen, meint sie freundlich. Presse? Warum nicht, ich könnte einen Artikel schreiben. Ach so, mein 70er Jahre-Outfit aus weißem, luftigem Indienkasak und pinkfarbener Leinenschlabberhose – nicht gerade erzbürgerlich. Und das Teleobjektiv. Mit den Kameras locker im Anschlag und fokussierendem Jägerblick wirken Kermit und ich nicht gerade wie spazierende Normalos. Ich stelle gezielte, interessierte Fragen und botanische Fachtermini sind mir geläufig. Das klingt verdächtig nach Kompetenz. Außerdem nickt J. grüßend mit dem Kopf und rückt näher. Ihn treffen wir hier oft an und löchern ihn mit Fragen zum Bot. Garten, der seit einiger Zeit zu seinen Ungunsten verändert und bereinigt wird, was die meisten Besucher sehr unwillig aufnehmen. Rasen statt Stauden und teure Alutafeln mit drittklassigen Pflanzenfotos statt begrünter Betonwände findet keiner gut. Wer eingewachsene, unkrautfreie 30 qm Herbstanemonen und Taglilien in schöner Anordnung umpflügt, gehört meinetwegen nach Sibirien.
J. ist ein goldiges, wissenschaftliches Faktotum Marke ewiger Student oder HiWi. Bart, lange, angegraute Haare zum Pferdeschwanz gebunden, schmächtig, bescheiden, spezialisiert, auskunftsfreudig, offener Blick, sehr nett und ebenfalls in 70er Jahre-Kluft. Muss gerade hip sein … hare rama, my sweet Lord … Sonne, Sommerhitze, barfuß laufen, friedliche Bienchen, Kirschen essen und Kerne spucken, Blumen, Garten, flower power – passt! Nur noch ein rundum gehendes Pfeifchen unter einem schattigen Baum fehlt, um brave Imker zu erschrecken. 😉
J. ist der geduldige Vater der Wildbienen und beforscht und betreut die angebohrten Bretter und Insektenbehausungen.
Ich mag Führungen, wenn sie nicht zu oberlehrerhaft ausfallen, und schließe mich der Gruppe an. Thema sind Phänotypen von Blüten, Bestäubung und das Zusammenleben von Insekten und Blütenpflanzen in groben Zügen. Schulstoff – hoffentlich wird’s nicht langweilig! Nein, es wird nicht langweilig. Schüler können nicht weglaufen, gelangweilte, erwachsene Naturfreunde schon.
Die „Stukas“, die in unserem Garten – und überall – andere Hummeln verscheuchen, gehören zu den Wollbienen, lerne ich. Sie sind nicht grundlos aggressiv, sondern verteidigen ihr Revier gegen Nahrungskonkurrenten, um Weibchen eine ergiebige Nektarweide zu bieten. Im Prinzip wie Singvögel, denke ich, oder wie Stichlinge. In unserem Garten sind z. Z. keine, hier zischen sie über den blühenden Ziest.
Rote Kastanienhybriden (Rosskastanie x amerikanische Pavonie) markieren ihre Blüten. Open & closed. Zuerst weist ein gelber Fleck darauf hin, dass Pollen zu ernten sind, dann verfärbt sich der gelbe Fleck rot, wenn die Blüte vom rabiaten Hummelbesuch genug und ihren Pollen verschenkt hat. Beim Trompetenbaum verhält es sich ebenso. Das wäre mir nie aufgefallen, jedenfalls wäre mir der Grund verborgen geblieben.
Primeln haben 2 verschiedene Blütentypen. Beide Typen sind zweigeschlechtlich, lassen aber entweder die Narbe oder die Staubgefäße über den Tellerrand wachsen, um Selbstbestäubung zu vermeiden. Darauf habe ich noch nie geachtet.
Gilbweiderich bietet nicht nur Pollen und Nektar, er gibt über Drüsen am Kelchgrund Fett bzw. Öl an Insekten ab, die es entweder in ihr Pollenbrot für den Nachwuchs vermanschen oder ihre Wohnung damit abdichten. Ich frage nach, was Wespen mit dem Wachs von Dahlienkelchblätter anstellen. Eine eindeutige Antwort gibt es nicht, doch ist anzunehmen, dass es sich in dieselbe Richtung bewegt. Umsonst machen sich Wespen keine Arbeit. Immerhin, ich bin etwas schlauer, bzw. wird meine eigene Annahme bestätigt. Neben Pflanzenfettlieferanten ist bei einigen Insekten Wollziest wegen seiner Härchen beliebt, die als Baumaterial genutzt werden.
Den gesamten, zwischen Stauden, Mendelschen Löwenmäulchenbeeten und Insektenhotels wandelnden Vortrag kann ich nicht kolportieren. Mir gefiel er. Ich lerne in lockerer Umgebung mitten im Grünen dazu.
Zu guter Letzt erhalten interessierte Zuhörer von J. Information über Wildbienen und zum Bau von Wildbienenhotels. Er hat Anschauungsmaterial mitgebracht, u.A. braune Kokons, Erzwespen im Glas und hohle Stängel („Es heißt ‚Erdwespen‘ „, korrigiert Kermit. „Nein, ERZwespen, so wie Erzschurke“, entgegne ich). Die verschiedenen Bienenarten brauchen – logisch – Löcher von unterschiedlichem Durchmesser mit sehr glatten Innenwänden, damit sie sich nicht an Holzsplittern verletzten. Wenn das Holz um die Löcher einreißt, können Parasiten wie die Erzwespe eindringen und der Brut der Hausgartentierchen den Garaus machen. Praktischerweise sollen die Bohrungen in einen Holzblock eine Schräglage haben, die nach außen unten weist, damit kein Regen hineinlaufen kann. J. benutzt neben Holzblöcken, die er im Winter reinigt, Stecken des Japanknöterichs und weitere, hohle Stängel mit geringerem Durchmesser als Bienenunterkunft. Die Röhren sind im Winter bewohnt, d.h. die Einwohner müssen bei der Reinigung umquartiert werden; z.B. in einen kleinen Pappkarton gefüllt mit isolierenden Fasern, der mit einem Ausflugloch versehen und draußen an gut geschützter Stelle platziert wird. Regensicher, wenn möglich auch relativ frostgeschützt, aber nicht etwa so trocken wie ein Kellerraum oder gar künstlich beheizt!
J. empfiehlt die Seite http://www.wildbienen.info/
Schön und gut, so viel Arbeit machen wir uns mit unseren Wildbienen nicht. Den ganzen Komposthaufen dürfen sie haben. Die Hummeln reagieren aufgeregt, wenn man unten gräbt und stochert, um an Pflanzerde zu kommen. Wahrscheinlich wohnen sie in den alten Stängeln von Fallschirmsonnenhut und Fenchel.