Mitte April nach Lisse bei Amsterdam, auf den Keukenhof. Tulpenpark mit Riesenparkplatz, auf dem plattesten Land, mitten in endlosen Tulpenzuchtbeeten aus Dünensand und Dünger. Immer gut besucht.
Für Tulpen- und Narzissenfans ein Muss!
Freche Farbkombination für große Flächen;
Ali Baba (geraniumrot) und
Candy Prince (fliederlila)
Bewunderswert ist die logistische Meisterleistung der niederländischen Produzenten, Tulpen, Narzissen, Hyazinthen, Muscari u.s.w. mit verschiedener Blütezeit durch Kühlung so vorzubehandeln und in die Schaubeete zu bringen, dass gleichzeitig frühe Tulipa humilis und mittelspäte Triumphtulpen und Papageien zu bestaunen sind. Nur die letzten T. viridiflora beginnen gerade erst sich zu färben und die zwergige Art Tulipa schrenkii ist verblüht.
Leider sind nicht alle Sorten beschriftet, was mich sehr ärgert. Genau dazu fahre ich als Privatgärtnerin nach Lisse, um mir interessante Sorten und Neuheiten zu notieren.
Davon abgesehen ist der Eindruck überwältigend!
Die Tulpen sind so stattlich, dass ich vermute, nur das größte Kaliber des Zwiebelumfangs wurde in den Boden gesenkt. Anders wär’s auch dumm.
Gefranste, lilienblütige Tulpen, wahrscheinlich
Black Jewel oder
Labrador
Internationales Publikum: Niederländische Familien mit Kindern Seite an Seite mit französischen Schlossgärtnern, britischen Gartenfreaks, spanischen Touristen, deutschen Rentnerbands in Kampftruppenstärke, knipsenden Chinesen und amerikanischen Einkäufern. Wer Versailles oder den New Yorker Central Park mit Tulpen bestückt bzw. beliefert, muss früher oder später auf Einkaufs- und Weiterbildungstour anreisen. Großverbraucher und -händler wenden sich gleich an den Keukenhof oder den Aussteller, wenn sie Namen von Sorten und Ensembles – und Rabattstaffel – wissen möchten. Schilder sind dabei nicht nötig und etwas für Liebhaberinnen, Gartenbastler, Sammler und Kleinmengenkunden. Außerdem bestimmt die Nachfrage das Angebot und der Vermehrungserfolg einer Sorte den Preis. Und das Ganze verzögert sich wegen des Wachstumszyklus‘ um 2 – 3 Jahre. Da hilft es wenig, wenn ich mir gezielt neuere Sorten herauspicke, die um die 4 – 5 Euro pro 10 Stück kosten können, die ich nicht bezahlen möchte. Ein Jahr später kann diese Sorte – je nach sorten- und wetterbedingter Vermehrungsfreude – evt. in größerer Zahl geernet werden und ist preisgünstiger. Wie an der Börse, Tulipomania modern.
Tulpe ‚Barbados‘?
Jede Art von Frühlingzwiebelpflanzen wird ausgestellt (Krokusse sind Mitte April natürlich verblüht), wie auf einer Messe unter freiem Himmel, was es letztlich ja auch ist. Die Weltmarktführer der Tulpenzucht bieten ihre Produkte an. Äußerst professionell und beeindruckend.
Gleich am Eingang finden sich die gefransten, lilienblütigen Tulpen in Mahagoni-Rot, die in der Crispa-Mischung steckten. Ohne Schild, ohne Namen. Black Jewel oder Labrador, würde ich schätzen. In unmittelbarer Nähe ein Kuriosum in dunklem Nagellackrosa, das mit seinen Graten aus Noppen und Höckern der Nachfahr einer pockigen Araignée de Mer (Seespinne) sein könnte. Rosa schimmernde Crispa-Krabbentulpe – auffallend, aber etwas outriert und nichts für den Stadtgarten. Wenn das so weitergeht – ohne Beschilderung – kann’s lustig werden. Heiteres Tulpenraten!
Umwerfend ist die Hügelanlage mit Massenanpflanzungen von T. greigii und T. fosteriana. Herausstechen die hellen, freundlich gefärbten, geflammten Sorten von greigii mit kanadischen Namen wie Winnipeg und Quebec, andererseits eine blassrosane auf 40 cm hohen Stielen names Poco Loco. Cremiges, mattes Hellrosa ist bei T. greigii keine häufige Farbe – aha, es ist gar keine greigii, sondern eine fosteriana. Ich mag auch gerne rein signalrote mit dunkel gezeichneten Blättern (ohne Schild!). Toronto in orange – statt in lachsrosa wie zuhause im Balkonkasten – habe ich nun auch mal gesehen. Sie erkenne ich auch ohne zusätzliche Beschilderung.
Ob eine weiße mit roten Bäckchen Corona, China Lady, Show Time, Wrestler oder Lady Diana oder Muckipuckipinseläffchen sein könnte, keine Ahnung (ohne Schild!). Eine Stunde lang schieße ich Fotos und kann mich gar nicht losreissen. T. greigii werde ich mir ins Ohr knoten, für den Fall, dass ich noch in diesem Leben einen schönen, großen Schotterhügel erbe. Der Eindruck, den 5 verlorene Minis in kahlen, geharkten Vorgärten gewöhnlich hinterlassen, wird ihrer Brillianz und Vielfalt keinesfalls gerecht. Ich freue mich, hübsche Sorten in solchen Mengen gesehen zu haben. Kermit drängt und schiebt. Also weiter.
Mir gefällt besonders die Tulpensorte Mango Charm (2012), die rassige, scharlachrote Darwinhybride Fostery King (2004) mit breitem, gelbem Kelch auf dunklen Stängeln, die kerzengerade steht, locker gebaute, pastellfarbene Hyzinthen und die älteren T. fosteriana Sweetheart (1976) und Juan (1961) zusammen mit gelben Narzissen. Die Menge macht’s, je mehr desto besser. Sogar altbekannte Sorten wie dunkelrote Rococo sehen im Pulk und zu Dutzenden zusammen mit Prinses Irene (1949) fabelhaft aus. 2 Sorten von gleicher Höhe und Blütezeit in Rot und Orange – große Wirkung. Meine Prinses Irene-Tulpen waren nicht annähernd so intensiv gefärbt. Die Prinzessin hat offenbar eine Doppelgängerin neueren Datums: Hermitage (1986). Da offenbar zu unterschiedlichen Zeiten vorbehandelte Sorten gesetzt wurden, um den Besuchern in jedem Frühlingsmonat volle Beete bieten zu können – nur so kann ich es mir erkären -, bekommt der Betrachter nicht mit, wann die natürliche Blühperiode stattfinden würde. Hier blühen T. greigii und Toronto und Purissima, dort bereits späte Angélique. In meinem Garten würden sie gleichzeitig voll blühend kaum zusammentreffen. Rococo mit Prinses Irene wäre schon knapp.
Auch die bekannte Monsella erstrahlt in einem vollen Beet unerwartet zu neuem Glanz. Ältere Sorten, für mich wiederentdeckt. Erst hier als große Gruppe fällt sie mir so richtig auf, dabei hatte ich sie vor Jahren im Garten. Auch dafür hat sich der Besuch gelohnt. Wann sieht man schon mal 800 Monsella nebeneinander und nimmt sie anders wahr?
Blue Beauty scheint mit Negrita falsch beschriftet zu sein. Denn in diesem Jahr standen massenhaft Blue Beauty im Stadtgarten, die der angeblichen Negrita vom Keukenhof aufs Haar gleichen. Negrita ist etwas plumper, blasser, kürzer und blühte ein wenig früher als Blue Beauty und nicht so lang; zumindest taten es die Negrita, die ich immer mal wieder nachkaufte und auspflanzte.
Monarch Parrot liegt am Boden und macht sich schmutzig, sogar im durchorganisierten, rundum gepamperten Tulpenhof. Wie tröstlich, genau wie meine Parrots im Beet. Sie sind halt im Topf besser aufgehoben, wie manche Lilien auch.
Graziöse, nickende Narzisse Green Eye
Bei den Narzissen fällt u. a. Green Eye und Snow Frills ins Auge. Leider reicht die Zeit nicht, Quail und Stint genauer unter die Lupe zu nehmen – einfache goldgelbe, kleinblütige, mittelhohe Narzissen, die ich für größere Flächen immer brauche. Allein die Auswahl an Narzissen rechtfertigt die Anfahrt an die Nordseeküste.
Die gemischten Rabatten mit Fritillaria, Hyazinthen, Narzissen und Tulpen sind ein Highlight, vor dem sich Fotografen mit Equipment und Assistentinnen aufbauen. Schöne Zusammenstellungen. Unwillkürlich vergleiche ich meinen Garten mit der sauber bestückten Fläche und finde ihn im Vergleich noch viel schöner, kunstvoller und natürlicher.
Der Keukenhof wirkt wie eine herausgeputzte Auslage. Straff, gedüngt, groß, sortiert, sauber. Vollendetes Anschauungsmaterial für den interessierten Stadtgärtner. Ein lebender Katalog: Einzelne Sorte, Kombination von 2 Sorten, vielfältig zusammengestelltes Beet – voilà, so könnte Ihre Bestellung für 2015 aussehen. Toll, aber doch auch steril und so voll, adrett und bunt wie eine Bonbonnière. Kein Platz zum Träumen, viel Platz um Einkaufslisten ins Handy zu tippen. Charme? Charme kommt hier nicht vor.
Was passiert mit den leergeräumten Beeten zwischen frischem Rollrasen nach der Frühlingsshow, frage ich mich als Gärtnerin mit Garten. Nichts. Sie liegen brach; der Keukenhof schließt im Mai. Der Zyklus inklusive Rollrasen beginnt von Neuem, nachdem die Bestellungen sortiert, die Nachfrage analysiert, am Sommerende die Beete komponiert wurden, wenn im Herbst die Blumenzwiebeln in Tausenderpacks zeitlich gestaffelt vorgekühlt werden. Immense Leistung. Geschäftstüchtige Niederlande.
Zusätzlich zur üppigst bepflanzten Parkanlage unter alten Bäumen gibt es Neuheitenpräsentationen, Hippeastrum z. B. Bis dorthin gelangen wir gar nicht.
Die Anlage ist so weitläufig, dass wir nicht mal ein Viertel erlaufen, möglicherweise nicht mal ein Zehntel. Den Keukenhof kann man – und werde ich – jedes Jahr wieder besuchen. Weltspitze!
Für fotografierende Tulpennärrinnen wäre es evt. eine Idee, eine Woche Amsterdam zu buchen und vier- oder fünfmal den Keukenhof anzulaufen – falls es so etwas wie eine Wochenkarte gibt. Bekomme ich als Tulpensüchtige Behindertennachlass? Oder ich grabe mich in einem Tulpenbeet ein und fotografiere am nächsten Tag weiter. Super Lösung! Fehlt eine Daunenjacke, Regenschirm, Tarnbemalung, eine 5 l-Thermoskanne und ein Anschluss zum Laden der Batterien für den Fotoapparat. Oder wir machen Kurzurlaub an der Nordsee statt in Amsterdam und fahren von Zandvoort aus zum Keukenhof; oder von Leiden aus. In Leiden gab es einen weltberühmten Universitätsgarten unter der Leitung eines vor über 400 Jahren weltberühmten Botanikers (Clusius?), fällt mir ein. Gibt’s heute auch einen Garten? Ja. Einen wiederhergestellten Hortus botanicus mit u. a. 6000 ostasiatischen Orchideen.
Bezaubernde Damentulpen (T. clusiana
Lady Jane, nach dem Botaniker Clusius benannt)
Die Tageskarte für den Keukenhof kostet 15 Euro, Parkgebühr 6 Eur. Bei 1 Besuchstag pro Jahr dauert es 8 Jahre, bis ich wenigstens ein halbes Handbuch mit Tulpenfotos habe. Leider sinnlos, wenn ohne Namen. Schaunmerma. Vielleicht legt sich mein Tulpenfieber irgendwann bald. Dieses Jahr setze ich keine Tulpen, bestimmt nicht.
Ich werde dem Keukenhof schreiben und die mangelhafte Beschriftung monieren, in erstaunter Manier. Und ich werde danach fragen, ob die Tulpen gekühlt und gestaffelt gelegt werden, um frühe und späte Sorten gleichzeitig zeigen zu können.
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